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Aufarbeitung der deutsch-deutschen Geschichte durch digitales Geschichte(n) erzählen

Ulrike Keß • Dez. 05, 2018

Unter dieser Überschrift stand der erste Wochenendkurs der „Wissensrouten“ in der Akademie Burg Fürsteneckvom 24.-26. August 2018. Aufarbeitung - das klingt nach mühevoller Recherche, danach, sich an weit Zurückliegendes zu erinnern – immerhin begehen wir im Jahr 2019 den 30. Jahrestag des Mauerfalls. Deutsch-deutsche Geschichte – das war in der Grenzregion ein minenbestückter, mit automatischen Schussanlagen versehener und von Soldaten beiderseits bewachter Streifen Land. Das war die Trennung einer Gemeinschaft; die Trennung von Verwandten, Nachbarn und Freunden. Ein gekapptes Netzwerk gewachsener sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Einheiten, Zusammenhänge und persönlicher Austausche.

Neugierde, Motivation und mitgebrachte Erlebnisse

Viel „Klinkenputzen“, Netzwerke aktivieren und ein Zeitungsaufruf in der regionalen Presse hatte Menschen aus der gesamten Grenzregion erreicht – Als sich die Teilnehmenden am ersten Kurstag gegenüber sitzen, steht vor allem eine Frage im Raum: Was bewegt Menschen heute – nahezu 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, sich mit der deutsch-deutschen Teilung auseinanderzusetzen? Grenzerinnerungen: wer trägt sie selbst in sich und mag sie ausgraben, ja, vielmehr noch, wer mag sie frei legen? Wer sie mit anderen teilen?

Dass verschiedene Erinnerungen noch sehr lebendig sind, spürt man, wenn man dem älteren Herrn zuhört, der mit seinem Sohn gekommen ist. Er hat die deutsch-deutsche Teilung selbst miterlebt. Viel zu erzählen hat er, sprudelt vor Erinnerungen, möchte sie dokumentiert und damit bewahrt wissen. Mit dem Kursangebot auf Burg Fürsteneck gibt es nun die Möglichkeit, die jüngere Generation mit den von ihr genutzten Medien zu erreichen – „digital“ zu ihnen zu sprechen – sein Sohn wird ihm beim Umgang mit den Neuen Medien helfen.

Anderen Teilnehmenden wiederum ist das heutige Grüne Band der ehemaligen Grenze vertraut, sie möchten recherchieren, was sich dahinter an Historie verbirgt. Zwei andere Kursteilnehmende, die lange Jahre in Südafrika gelebt haben, haben einen ganz eigenen, weiter gefassten Zugang zum Thema: sie möchten sich mit den Grenzen in den Köpfen der Menschen befassen. Wieder andere sind fasziniert davon, im Kurs zu lernen, wie man Geschichte in spannende, selbst gestaltete digitale Hörbeiträge verwandeln kann.

Die Point Alpha Stiftung als Partnerin

Mit der Point Alpha Stiftung hat die Burg Fürsteneck eine kompetente Partnerin zur inhaltlichen Umsetzung des Kurses mit an Bord. Die Kursleitenden des ersten Wissensrouten-Kurses, Marina Melber und Christian Curschmann, sind pädagogische Mitarbeitende der Stiftung.

Henne oder Ei? Technik oder Thema?

Nun, der Vergleich mag etwas hinken. Dennoch: die Themen sind schon drin, in den Köpfen der Teilnehmenden. Doch um einzuschätzen zu können, was aus der Fülle an eigenen oder recherchierten Grenzerinnerungen für einen Hörbeitrag überhaupt in Frage kommt, und in welche Form sie „gegossen werden können“, hierfür bedarf es eines Exkurses: Was ist eigentlich ein Hörbeitrag? Wie wird aus Fragen und Antworten, aus Originaltönen und aus Moderationstext ein „gebauter Beitrag“? Wie entsteht ein Spannungsbogen? Mediencoach Rainer Böhm, ebenfalls Mitglied des Leitungsteams, führt ins journalistische Arbeiten ein. Ergänzt wird das Ganze durch praktische Übungen. Noch ungewohnt und erst noch zögerlich, dann aber beherzt – sind der Griff zum Mikrophon, der Druck auf den Aufnahmeschalter, die Aufsprache, die Überspielung der Datei ins Schnittprogramm des Computers. Konzentration, Verbissenheit, dann ein gelöstes Lachen, wenn die Aufnahme gelungen ist.


Tag zwei steht dann ganz im Zeichen des inhaltlichen Themas: Ein Besuch der Gedenkstätte Point Alpha in der Nähe von Geisa und Rasdorf schärft den Blick fürs Wesentliche, macht aufmerksam auf historische Rahmenbedingungen, zeigt Beispiele für Zeitzeugeninterviews. Zurück auf Burg Fürsteneck steht den Kursteilnehmenden ein Gästeführer der Gedenkstätte persönlich Rede und Antwort. Auch er ist ein Zeitzeuge, hat die deutsch-deutsche Teilung miterlebt, als Zöllner im westdeutschen Herleshausen. Dies aber steht nicht im Vordergrund des Gesprächs. Vielmehr: Welche Kenntnisse der Historie, aber auch von Fachbegriffen, setze ich beim Hörer eines Beitrages voraus? Wie gestalte ich einen Beitrag sachlich ohne eigene Wertung? Für wen gestalte ich den Beitrag? Mit welcher Zielstellung? Die sich anschließende, aktiv geführte Diskussion zeigt auf, dass den Kursteilnehmenden bewusst ist, dass sie mit ihren späterhin im world wide web öffentlich gemachten Beiträgen selbst einen Beitrag zur politischen Bildung leisten.

Fest steht, alle, die damals gelebt haben, zumal in der Grenzregion, können etwas zur Darstellung dieser Zeit beitragen. Auch Ereignisse, die man selbst vielleicht als unbedeutend bewertet können Teile des Puzzles der deutsch-deutschen Geschichte sein.

Blick voraus: zweites Kurswochenende am 08./09. Dezember

Zum Abschluss des Auftaktwochenendes wurden die einzelnen Vorhaben immer stärker als gemeinsame Aufgabe begriffen, – nämlich Beiträge für eine hessenweite Wissensrouten-Dokumentation zu erstellen. Bis zum nächsten Treffen werden die Teilnehmenden Grenzerinnerungen recherchieren, zeitgeschichtliches Material sammeln, Interviews führen, Beiträge und Moderationstexte einsprechen und sich Konzepte zur Gestaltung ihrer Beiträge überlegen. Und alle brennen darauf, die Aufnahmegeräte Anfang Dezember wieder auf Burg Fürsteneck auszupacken: mit jeder Menge „Stoff“ drauf. Und sind sicherlich selbst gespannt darauf, welche Grenzerinnerungen offengelegt werden.

Kursleiterin Marina Melber zeigte sich nach dem Auftaktwochenende insbesondere fasziniert von der hohen Motivation der Teilnehmenden. Auch davon, dass einige von ihnen Grenzen tiefer verstanden haben möchten; was es auf sich hat mit Grenzen, was sie mit uns machen, wie sie nachwirken in nachfolgende Generationen hinein. Der Austausch der Teilnehmenden untereinander, das Gefühl als Gruppe am Thema zu arbeiten, sei schon am ersten Tag sehr ausgeprägt gewesen und habe das Engagement noch verstärkt. Melber selbst sieht das Thema „Erinnerung“ im Fokus der inhaltlichen Arbeit des Wissensrouten-Kurses auf Burg Fürsteneck. Wie funktioniert Erinnerung? Was löst Erinnerungen aus? Ein Wort, ein Gegenstand, ein Geruch …

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Erstes Fazit: Erinnerungen sind flüchtig – wie ein ausgesprochenes Wort, wie ein Geruch …
… halten wir sie fest! Freuen wir uns auf Hörbeiträge aus der ehemaligen deutsch-deutschen Grenzregion!

Mehr Informationen:



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